In seinem Grußwort wies der Landesbeauftragte für politische Bildung auf das unauflösbare Spannungsfeld von Repräsentation und Partizipation hin. „In den repräsentativ verfassten Republiken – der Bundesrepublik wie der Fünften Französischen Republik – ist Vertrauen das Band, das Amtsinhaber und Bürger verbindet“, erklärte Dr. Christian Meyer-Heidemann. „Wir müssen darüber sprechen, wie verlorengegangenes Vertrauen in den Nationalstaaten, aber auch das Vertrauen in die Europäische Union zurückgewonnen werden kann.“ Ziel politischer Bildung sei hierbei nicht, die EU gegen alle Kritik zu immunisieren, sondern kritisch-konstruktiv die Bürgerinnen und Bürger ins Gespräch über Europa einzubinden.
Partizipation und Politikverdrossenheit
Die Diskutanten auf dem Podium versuchten, die derzeitige Politikverdrossenheit und den heftigen, teils gewaltsamen Protest der „Gelbwesten“ (gilets jaunes) zu erklären. Für Thomas Lehmann (Jeunes avec Macron) war es wichtig, dass es bei den Gelbwesten zwar Einflüsse der politischen Rechten gebe. Diese sei aber nur ein Teil der Massenbewegung: „Viele sind lediglich politikverdrossen. Und mit diesen Menschen wollen wir reden.“
Dem antwortete später Dr. Roman Léandre Schmidt (Heinrich-Böll-Stiftung), dass die Dialogversuche seitens der französischen Regierung teilweise eher wie „Particitainment“ statt wie Angebote echter Partizipation wirkten. Konkret bezog er sich auf Macrons Kampagne einer grand débat national.
Auch Manuel Sarrazin (Vizepräsident der Europäischen Bewegung Deutschland und MdB (Bündnis90/Die Grünen)) äußerte sich kritisch: Er bemerkte, dass für viele der Bewegungs-Charakter von La République en Marche ! auch ein attraktives Beispiel für deutsche Politik gewesen sei. Mittlerweile müsse man aber genauer schauen: „Wo bietet Politik wirkliche politische Beteiligung, und wo wird sie nur simuliert?“
Für Schmidt ist das Momentum der Bewegung Macron verloren gegangen. Und auch auf Forderungen der Bevölkerung ginge der französische Präsident nur ein, wenn sie zu laut würden: „Macron begegnet Kritik nach dem Prinzip Feuerwehr. Für ein Modell demokratischer Partizipation sind das denkbar schlechte Voraussetzungen.“
Distanz zwischen Regierung und Wählerbasis
Der Moderator der Runde, Dr. Dieter Sinhart-Pallin (Deutsch-Französische Gesellschaft Schleswig-Holstein), merkte an, dass im Mehrheitswahlsystem Frankreichs ein großer Teil der Bevölkerung nicht repräsentiert sei. Der Soziologe Prof. Dr. Dietmar Loch (Universität Lille) ging auf diesen Aspekt ein und erläuterte, dass Macron keine soziale Basis in der Bevölkerung habe. Weder in den mittleren noch in den unteren Schichten könne er auf breite Unterstützung zählen. Die Proteste seien auch eine Reaktion auf die Abstufung (déclassement) dieser Gruppen.
Der französische Generalkonsul für Hamburg und Schleswig-Holstein, Laurent Toulouse, fasste in seinem Schlusswort die Diskussion zusammen. Er listete aber auch Aspekte auf, zu denen er gerne mehr gehört hätte. So gab er zu bedenken, dass es beim déclassement nicht nur um die tatsächliche oder gefühlte Herabstufung gehe. Es bestehe auch das psychologische Problem, dass sich viele Französinnen und Franzosen subjektiv verachtet und gedemütigt fühlten. Ferner sei die politische Krise in Frankreich auch auf eine Krise der Globalisierung und die Welt der Moderne zurückzuführen. Dies müsse uns für die Zukunft zu denken geben.
Mit der Diskussion „Demokratie en Marche“ ging die gemeinsame Veranstaltungsreihe der Deutsch-Französischen Gesellschaft Schleswig-Holstein, der Familie Mehdorn Stiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein und des Landesbeauftragten für politische Bildung in die vierte Runde. Eine Fortsetzung im kommenden Jahr ist bereits in Planung.