Donnerstag, 21. Februar 2019

Verhöhnen der Opfer durch Gedenken der Täter?

Die Erinnerung an den Nationalsozialismus hat in den letzten 70 Jahren einen starken Wandel durchlaufen – vom Kriegergedenken bis zur heutigen ausdifferenzierten Gedenkkultur. Trotzdem fällt es nach wie vor schwer, einen kritischen Umgang mit der eigenen Geschichte zu finden, gerade wenn es um lange bestehende Denk- und Mahnmale im öffentlichen Raum geht. Das zeigte Stephan Linck von der Nordkirche bei seinem Vortrag im Kieler Landeshaus.

Nach dem Zweiten Krieg stand vielerorts die Erinnerung an die „Gefallenen“, an die deutschen Soldaten im Mittelpunkt der Gedenkkultur, so Linck. Dabei sei nicht differenziert worden zwischen Mitläufern und Tätern. Und erst recht nicht – bis auf wenige Ausnahmen – sei den Opfern des Nationalsozialismus gedacht worden. Stephan Linck, betonte, dass diese Erinnerungskultur eingerahmt wurde durch politische Strukturen in Schleswig-Holstein, in denen ehemalige Nationalsozialisten wieder die Schaltstellen der Politik eingenommen hatten.

In den 1980er und vor allem 1990er Jahren habe Gedenkkultur die Opfer des Nationalsozialismus mehr und mehr in den Mittelpunkt gerückt. Man erkenne dies zum Beispiel an der Zunahme von Initiativen, die „vergessene“ Konzentrationslager ausfindig machten. Kieler Beispiel sei etwa der Arbeitskreis Asche-Prozess. Auch die Einführung des Gedenktags an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar, verkündet durch den damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, habe die veränderte Gedenkkultur aufzezeigt, so Linck.

Der Gegenwart attestierte Linck zwar eine sehr ausdifferenzierte Gedenkkultur. Allerdings machte er klar: Neue Formen des Gedenkens seien additiv hinzugekommen. Alte Formen würden so weder ersetzt noch auf kritische Weise neu reflektiert. „Welches Bein stellen wir uns eigentlich damit, dass wir alte Denkmäler unkommentiert stehen lassen?“, fragte Linck. Dabei zeigte er das Gruppenfoto einer rechtsextremen Gedenkfeier, die am Volkstrauertag in Lübeck stattgefunden habe.

Anhand mehrerer Denkmäler mit verfassungsfeindlichen Symbolen oder abgewandelten Leitsprüchen der SS schloss er das Thema ab: „Egal, wie gut oder gut gemeint eine Trauerrede ist: Bei derartigen Steinen Kränze niederzulegen finde ich mehr als zweifelhaft. Wir können dann noch nicht sagen, wir hätten die NS-Zeit ausreichend reflektiert und hinter uns gelassen.“

Das Publikum schien diesem Resümee zuzustimmen. Die anschließende angeregte Diskussion nahmen etliche Gäste zum Anlass, über konkrete Denkmäler vor Ort zu diskutieren. Einige brachten konkrete Handlungsvorschläge ein, eine eigene, kritisch-reflektierende Gedenkkultur zu pflegen.

Der Landesbeauftragte führte den Abend gemeinsam mit der Landesarbeitsgemeinschaft Schleswig-Holstein von Gegen Vergessen – Für Demokratie. Weitere Informationen zu Stephan Lincks Forschung über Gedenkkultur finden sich auf der Website des Projektes „Denk Mal!“.